Corona-Briefe #7

In meinem Brief an den Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder vom 07.02.2021 warb ich für eine No-Covid-Strategie und bat den Ministerpräsidenten daher darum, dass dieser sich in den Beratungen von Bund und Ländern für eine proaktive Herangehensweise nach dem No-Covid-Ansatz ausspricht. Hier der Brief im Wortlaut:

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Herrn
Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder
Bayerische Staatskanzlei
Franz-Josef-Strauß-Ring 1
80539 München

Corona-(SARS-CoV-2)-Pandemie

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

in der kommenden Woche beraten Sie gemeinsam mit der Bundeskanzlerin und den anderen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten über die getroffenen Maßnahmen und das weitere Vorgehen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. In diesem Zusammenhang bitte ich Sie eindringlich, die Warnungen aus der Wissenschaft vor Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt ernst zu nehmen.

Es ist erfreulich, dass die Zahlen der Neuinfektionen in Deutschland seit Jahresbeginn sinken. Das zeigt, dass die getroffenen Maßnahmen wirken und wir dem Virus nicht hilflos ausgeliefert sind. Auch die entwickelten Impfstoffe werden mittel- und langfristig die Situation deutlich verbessern. Gleichzeitig besteht durch die Ausbreitung neuer und noch ansteckenderer Virus-Mutationen in Deutschland Anlass zu großer Sorge.

Ich verstehe den Wunsch vieler nach schnellen Lockerungen. Viele Maßnahmen greifen in Grundrechte ein und bedrohen die berufliche Existenz. Geschlossene Schulen und Kindertagesstätten sind insbesondere für Familien mit kleinen Kindern und Alleinerziehende eine enorme Belastung. Homeschooling und Beruf unter einen Hut zu bringen ist alles andere als einfach, vor allem für diejenigen, die beengt in einer Mietwohnung leben und nicht das nötige Geld für einen Laptop für Ihre Kinder haben. Hinzu kommt die Angst vor dem Verlust der Arbeit. Gleichzeitig haben viele die Sorge, sich oder seine Liebsten mit dem Coronavirus anzustecken. All diese Sorgen und Nöte müssen ernst genommen werden. Niemand darf in dieser Krise alleine gelassen werden. Der Staat muss jede Bürgerin und jeden Bürger mit Hilfebedarf unbürokratisch unterstützen. Das muss vor allem für diejenigen gelten, die weniger privilegiert sind.

Maßstab für das weitere politische Handeln in der Pandemie muss sein, Gesundheit und Menschenleben zu schützen und gleichzeitig weitere Schäden für Gesellschaft, Bildung und Wirtschaft gering zu halten und möglichst zu verhindern.

Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt halte ich auf Grund der Einschätzungen, die ich aus der Wissenschaft kenne, für hochriskant. Niemanden ist geholfen, wenn nach gutgemeinten Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt im März die Zahl der Infektionen erneut nach oben schnellen und die noch ansteckendere Corona-Variante B.1.7.7 noch massivere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erforderlich machen, als jetzt schon.

Im Falle einer unkontrollierten Ausbreitung der deutlich ansteckenderen Corona-Varianten, sind sehr viele weitere schwere Erkrankungen mit Todesfolge zu erwarten. Ich befürchte zudem eine massive Gefährdung der Versorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen in Heimen, Zuhause und im Gesundheitswesen allgemein. Eine hohe Inzidenz führt zwangsläufig, zu Personalausfällen auf Grund von Krankheit oder Quarantänemaßnahmen, so dass das Personal in Heimen und Kliniken fehlt und sich der Personalmangel im Gesundheitsbereich zusätzlich verschärft.

Zudem erinnere ich daran, dass nicht alle besonders gefährdeten Menschen in Alten- und Pflegeheimen leben. Die meisten leben mitten unter uns, mitten in der Gesellschaft. In der Schutzmaskenverordnung ist definiert, wer zu den besonders gefährdeten Menschen durch das Corona-Virus gehört: Menschen über 60 oder solche mit Vorerkrankungen oder anderen Risikofaktoren. Das sind über 34 Millionen Menschen. Dazu gehören auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte, für die Corona tödlich sein kann – wegen einer überstandenen Herz- oder Krebserkrankung, wegen Allergien, Bluthochdruck, Diabetes und anderem. Jeder Mensch verdient in dieser Pandemie den bestmöglichen Schutz! Sich lediglich auf Pflege- und Altenheime zu konzentrieren, wie vereinzelt gefordert, blendet dies aus.

Ich möchte daher bei Ihnen für eine konsequente Eindämmungsstrategie und den Ansatz von No-Covid werben, wie er von dem wissenschaftlichen und interdisziplinären Team von Frau Prof. Melanie Brinkmann u.a. beschrieben wird. Das Ziel des Ansatzes ist es, Neuinfektionen Richtung Null zu drücken. Ähnliche Ansätze gibt es bereits mit „Vision Zero“ um Unfälle und Verletzungen im Verkehr und am Arbeitsplatz zu verhindern.

Aus meiner Sicht, ist der No-Covid-Ansatz geeignet, die Pandemie schnell unter Kontrolle zu bringen, so dass Einschränkungen zügig aufgehoben werden können und anschließend passgenau und regional begrenzt auf neue Ausbrüche reagiert werden können.

Um das Ziel von No-Covid zu erreichen, sind eine Verlängerung des derzeitigen Lockdowns, eine bessere Nachverfolgung von Infektionsketten und konsequentere Quarantäne-Maßnahmen erforderlich.

Vor einer Öffnung von Schulen und Kindertagesstätten müssen mit Blick auf die hochansteckenden Coronavirus-Varianten die Infektionszahlen deutlich Richtung Null gesenkt werden und jedes Klassenzimmer und jeder Gruppenraum mit einer Lüftungsanlage ausgestattet werden. Nach einer aktuellen Auswertung des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen gehören Beschäftigte in Kindergärten und Vorschulen zur stärksten von Covid-19 betroffenen Berufsgruppe, noch vor den Pflegekräften in Altenheimen und medizinischem Personal in Krankenhäusern. Schulen und Kindertagesstätten sind nicht nur Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, sondern auch Arbeitsstätten von Lehrkräften und Erzieherinnen und Erziehern. Auch sie haben ein Recht auf bestmöglichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, denn auch sie haben Eltern und vielleicht Kinder und können auf Grund von Vorerkrankungen oder des Alters besonders gefährdet sein, an Covid-19 schwer zu erkranken.

Bitte sprechen Sie sich in den Beratungen von Bund und Ländern gegen Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt und für eine proaktive Herangehensweise nach dem No-Covid-Ansatz aus!

Freundliche Grüße und bleiben Sie gesund!

Andreas Wagner, MdB

  7. Februar 2021
 
  Kategorie: Briefe