Empowerment

Erklärtes und übereinstimmendes Anliegen der verschiedenen Träger der professionellen Behindertenhilfe ist, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und deren gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Hierzu gibt es verschiedene konzeptionelle Ansätze. Einer davon heißt „Empowerment“.

Der Empowerment-Gedanke kommt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum und entwickelte sich aus den praktischen Erfahrungen von Selbsthilfeinitiativen und Protestaktionen von armen, arbeitslosen, psychisch kranken, behinderten und anderen sozial benachteiligten Menschen heraus. Indem sie zur Selbsthilfe griffen, versuchten diese Menschen nicht nur neue Wege zu finden, um Lebenskrisen besser bewältigen zu können, sondern sie versuchten gleichzeitig eine größtmögliche Kontrolle über das eigene Leben durchzusetzen. Geschehen sollte dies, durch „Empowerment“ („Ermächtigung“) (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 11).

Stärke den Machtlosen

Grundgedanke des Empowerment-Konzepts ist die Stärkung von Menschen, die sich aus irgendwelchen Gründen in einer machtlosen Situation befinden. Unter Stärkung ist dabei das Entdecken, Bewusstwerden und Entwickeln von eigenen Ressourcen gemeint. Stärkung von Menschen heißt aber auch, solche Bedingungen zu fördern, die es Menschen ermöglichen, selbst über das eigene Leben bestimmen zu können und „selbst Kontrolle über die Gestaltung der eigenen sozialen Lebenswelt“ zu erlangen (STARK, 1993, 41).

Dieser Grundgedanke des Empowerment bezieht sich auf die Annahme, dass alle Menschen über individuelle Ressourcen verfügen, denen sich lediglich die Betroffenen, aber auch die sozialpädagogischen Fachkräfte bewusst werden müssen. Das Empowerment-Konzept erteilt somit einer defizitorientierten Betrachtung von Menschen eine Absage und stellt stattdessen deren individuellen Stärken, Fähigkeiten und Potentiale in den Mittelpunkt, die es zu entfalten gilt (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 13).  Dabei wird davon ausgegangen, dass Menschen „nur die Fähigkeiten und Potentiale entfalten“ können, „die wir ihnen auch zutrauen“ (STARK, 1993, 42). Einem anderen Menschen etwas zuzutrauen heißt ihn ernst zu nehmen. In diesem Sinne gilt der Betroffene im Empowerment-Konzept als „Experte in eigener Sache“. 

Empowerment ist als prozesshaftes Geschehen zu verstehen, dass sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Zu unterscheiden sind dabei die individuelle, die gruppenbezogene und die strukturelle Ebene. Auf der individuellen Ebene sind Empowerment-Prozesse gemeint, in denen Personen „aus einer Situation der Machtlosigkeit und Resignation heraus beginnen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen“ (STARK, 1993, 43). Empowerment-Prozesse auf der gruppenbezogenen Ebene sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass im Austausch von Meinungen und Kompetenzen mit anderen Menschen neue Fähigkeiten erworben werden. Auf der strukturellen Ebene können Empowerment-Prozesse als ein erfolgreiches Zusammenspiel von Individuen, organisatorischen Zusammenschlüssen und strukturellen Ramenbedingungen gesehen werden.

Die einzelnen Ebenen können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Damit Empowerment-Prozesse auf der individuellen und gruppenbezogenen Ebene zustande kommen und letztendlich erfolgreich verlaufen, kann es erforderlich sein, die Rahmenbedingungen auf der strukturellen Ebene zu verändern.

Eine grundlegende und zugleich wichtige Voraussetzung für das Zustandekommen von Empowerment-Prozessen ist auf der Seite des Betroffenen, dass sich dieser seiner Situation bewusst und selbst aktiv wird. Denn Empowerment-Prozesse leben von der Beteiligung der Betroffenen.

Aber auch von den sozialpädagogischen Fachkräften sind Voraussetzungen zu erfüllen, damit Empowerment-Prozesse angestoßen und am Laufen gehalten werden können. Die wichtigste Voraussetzung ist dabei „das Vertrauen in die individuellen Ressourcen und Fähigkeiten der Betroffenen“ (THEUNISSEN/ PLAUTE, 1995, 13).  Dies bedeutet, dass sich die professionellen Helfer von ihrer defizitorientierten Sichtweise verabschieden und gleichzeitig solche Bedingungen schaffen müssen, damit die Betroffenen auf ihre Ressourcen und Fähigkeiten auch zurückgreifen und neue entdecken können.

Perspektivenwechsel nötig

Im Vergleich zur herkömmlichen Behindertenhilfe ist das Empowerment-Konzept nicht an einer medizinischen, sondern an einer sozialwissenschaftlichen Sichtweise von Behinderungen ausgerichtet. Anstelle einer „Beschreibung und Registrierung von Defiziten, Symptomen oder Auffälligkeiten“ und einer damit einhergehenden „Etikettierungsdiagnostik“ setzt das Empowerment-Konzept auf eine „kontextuelle, bio-psycho-soziale Problemsicht“ (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 17f.).

Eine vom Empowerment-Konzept geleitete Unterstützung von Menschen mit Behinderung, orientiert sich an deren „Betroffenenperspektive, Interessenlage und speziellen Bedürftigkeit“ (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 18).  Bei der Auswahl von pädagogischen Fördermaßnahmen und deren angestrebten Zielen ist der Mensch mit Behinderung einzubinden. Dem Menschen mit Behinderung wird damit mehr Selbstbestimmung und Kontrolle über seinen Körper gegeben. Er soll mitentscheiden können, was Ärzte, Therapeuten, Pädagogen und andere mit ihm und seinem Körper machen. Selbstbestimmung hat damit Vorrang vor therapeutischen Maßnahmen, die das Ziel der Anpassung an eine von wem auch immer festgelegten Norm haben (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE, 1995,18).

Selbstbestimmung statt Bevormundung

Was für therapeutische Maßnahmen gilt, gilt genauso für die Bereiche „Wohnen“ und „Arbeit“. Nach dem Empowerment-Konzept ist daher nach Möglichkeit auch in diesen Bereichen mit dem Ziel einer sinnerfüllten Lebensverwirklichung auf die Wünsche des Menschen mit Behinderung einzugehen. Ein „mobiles, ambulantes und bedarfsgerechtes System gemeindeintegrierter und vernetzter Hilfen“ ist deshalb den speziellen Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung vorzuziehen (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 19). Empowerment ist insofern nicht nur ein Programm zur Stärkung von Menschen, sondern auch ein Konzept mit sozialpolitischen Inhalten.

Empowerment ist aus meiner Sicht eine geeignete konzeptionelle Grundlage um Menschen mit Behinderung auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu begleiten und zu unterstützen. Es ist vor allem deshalb geeignet, weil darin Menschen mit Behinderung nicht – wie so oft – auf ihre Behinderung reduziert werden, die es zu „behandeln“ gilt, sondern deren Bedürfnisse und Ressourcen im Mittelpunkt stehen. Damit wird hervorgehoben, dass Menschen mit Beeinträchtigungen sich weiterentwickeln können und ganz individuelle Bedürfnisse haben, die sie befriedigt haben wollen. Ein derartiges Menschenbild ist schließlich eine Voraussetzung dafür, Menschen mit Behinderung weniger mit oft entmündigender Hilfe zu „beliefern“, sondern vielmehr auf seine Vorlieben und Wünsche einzugehen und ihm auch Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Das Empowerment-Konzept ist auch deshalb eine gute Grundlage für sozialpädagogisches Handeln, weil es der Grundhaltung von einem partnerschaftlichen Umgang zwischen Menschen mit Behinderung und professionellen HelferInnen entspricht. Statt dem Menschen mit Behinderung vorzuschreiben, was er zu tun hat, sollen sozialpädagogische Fachkräfte ihm bei der Bewältigung des Alltags zur Seite stehen und wenn nötig dabei unterstützen. Einer Bevormundung des Menschen mit Behinderung wird damit eine klare Absage erteilt. Und das ist gut so, denn wenn angestrebt wird, Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen und sie in ihren Rechten und Möglichkeiten mit anderen Menschen gleichzustellen, muss im kleinen, also in den Einrichtungen, damit begonnen werden.

Träger und Beschäftigte sind gefordert

Wenn Empowerment-Prozesse gelingen und professionelle HelferInnen Menschen mit Behinderung durch  kooperative, partnerschaftliche Unterstützung und Parteinahme bei ihrer Selbstbemächtigung unterstützen sollen, sind Bedingungen und eine Arbeitshaltung zu entwickeln, die es ermöglichen, soziale Kräfte bei anderen wecken und stärken zu können.

Zum einen müssen die sozialpädagogischen Fachkräfte bereit sein, etwas von ihrer Macht abzugeben und Menschen mit Behinderung in allen Entscheidungen, die sie betreffen, einzubinden – auch wenn es anders häufig einfacher und bequemer erscheint. Zum anderen müssen die Träger der professionellen Behindertenhilfe Arbeitsbedingungen schaffen, die Empowerment-Prozesse erst ermöglichen. Hierzu gehört als wichtigster Schritt, Beteiligung und Mitbestimmung zu etwas Selbstverständlichen zu machen – nicht nur in Bezug auf Menschen mit Behinderung, sondern auch in Bezug auf die Beschäftigten in sozialpädagogischen Einrichtungen.

Das Empowerment-Konzept ist ein in jeder Hinsicht anspruchsvolles Konzept. Und bei der Umsetzung in der Praxis wird man immer wieder an Grenzen stoßen. Weil es aber den Menschen mit seinen Bedürfnissen ohne wenn und aber in den Mittelpunkt der Bemühungen stellt, ist es aus meiner Sicht bestens geeignet, um Menschen mit Behinderungen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Literatur:

Stark, Wolfgang: Die Menschen stärken. Empowerment als eine neue Sicht auf klassische Themen von Sozialpolitik und sozialer Arbeit. In: Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg (Hg.): Blätter der Wohlfahrtspflege. Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit. Stuttgart 1993, Heft 2, 41-44

Theunissen, Georg/Plaute, Wolfgang: Empowerment und Heilpädagogik. Ein Lehrbuch. Freiburg in Breisgau 1995

  17. April 2017
 
  Kategorie: Artikel