Angriffe stoppen

An die
Botschaft der Russischen Föderation
Herrn Botschafter Krylov

Geretsried, 25.10.99

Sehr geehrter Herr Botschafter Krylov,

wir sind wegen der eskalierenden Gewalt in der Republik Tschetschenien zutiefst besorgt. Wir sind fest davon überzeugt, dass militärische Gewalt ein völlig ungeeignetes Mittel ist, dauerhaft Konflikte zu lösen. Wir verurteilen daher mit aller Entschiedenheit den Beschuss und die Bombardierung von tschetschenischen Dörfern und Städten durch die russische Armee.

Vertreter der russischen Regierung geben vor, die Angriffe gelten ausschließlich “Terroristen” und es ginge um die Wiederherstellung der Sicherheit und Ordnung in Tschetschenien. Doch die Realität sieht anders aus: Jeden Tag steigt die Zahl der Kriegsopfer. Zehntausende Zivilisten sind auf der Flucht vor Bomben und Granaten. Die Infrastruktur des Landes wird mehr und mehr zerstört. Tschetschenien versinkt mit jedem Kriegstag weiter im Chaos.

Wir verurteilen die Aktivitäten nationalistischer und fundamentalistischer Kräfte in Tschetschenien und die terroristischen Übergriffe und Anschläge auf russische Einrichtungen. Auch wir sind der Meinung, dass terroristische Aktivitäten nicht geduldet werden dürfen und deshalb eingedämmt werden müssen. Die Mittel, die die russische Regierung einsetzt, sind hierzu jedoch völlig ungeeignet. Durch den massiven Waffeneinsatz der russischen Armee wird das Leben der Menschen in Tschetschenien nicht sicherer. Im Gegenteil: Der Einsatz von Bomben und Granaten terrorisiert die Bevölkerung zusätzlich.

Die russische Regierung hat im Frühjahr den Bombenkrieg der NATO gegen Jugoslawien zurecht verurteilt. Auch wir taten dies, weil einerseits Menschenrechte mit militärischer Gewalt nicht geschützt sondern verletzt werden und andererseits die NATO mit ihrem Angriff auf Jugoslawien internationales Recht brach. Die russische Regierung nahm damals, trotz ihres scharfen aber berechtigten Protests gegen die Angriffe der NATO auf Jugoslawien, eine konstruktive und besonders zu würdigende Rolle bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung ein, die half, den Krieg zu beenden.

Jetzt haben wir aber den Eindruck, dass die russische Regierung ihre Interessen mit den selben Mitteln durchsetzen will, wie seinerzeit die NATO. So wie die Begründung der NATO, man wolle mit den Bombardierungen Menschenrechte schützen, nur ein Vorwand war, ihre Osterweiterung voranzutreiben, drängt sich uns der Verdacht auf, dass das militärische Vorgehen Russlands in Tschetschenien nicht in erster Linie der Bekämpfung des Terrorismus dient, sondern der Übernahme der Kontrolle über ein Land, das hinsichtlich der Ausbeutung und des Transports der Erdölvorkommen im Kaukasus für Russland eine wichtige strategische Bedeutung hat.

Eine solche Politik können und wollen wir nicht hinnehmen, weil sie die ohnehin konfliktgeladene Region weiter gefährlich destabilisiert. Wir appellieren daher an die Regierung der Russischen Föderation die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen anzuordnen. Wir erwarten, dass Russland sich sofort und ohne Vorbedingungen um eine Lösung des Konfliktes auf diplomatischem Wege bemüht und seine Interessen in Kooperation und auf dem Weg eines fairen Interessenausgleiches zwischen den Völkern verfolgt.

Wir erwarten eine Stellungnahme von Ihnen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

Andreas Wagner,
für die Friedensinitiative Bad Tölz-Wolfratshausen

  25. Oktober 1999
 
  Kategorie: Briefe