Austritt aus Partei DIE LINKE.
Ich veröffentliche hier mein Schreiben vom 2. Dezember 2021 an den bayerischen Landesvorstand, in dem ich meinen Austritt aus der Partei DIE LINKE. erkläre.
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Liebe Genossinnen und Genossen,
hiermit trete ich aus der Partei DIE LINKE. aus. Ich werde mich zukünftig wieder außerhalb einer Partei politisch für das Gemeinwohl betätigen.
Ich bin 2005 aus tiefster Überzeugung in die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) eingetreten und wurde auf diesem Weg Gründungsmitglied in der Partei DIE LINKE. Hier war ich bis zu meiner überraschenden Wahl in den Deutschen Bundestag im Jahr 2017 mit großer Leidenschaft lokalpolitisch engagiert. Ich bin davon überzeugt, dass es in Deutschland eine starke politische Kraft für Frieden und soziale Gerechtigkeit braucht, die das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt und Regierungspolitik hinterfragt und fordert, wenn nötig Druck macht und eigene Lösungsansätze bei zu klärenden Fragen oder in einer Krise zur Diskussion stellt.
Ich habe in den letzten vier Jahren meiner Zeit im Bundestag einige schmerzhafte Erfahrungen gemacht, die Spuren hinterlassen haben und meine psychische Gesundheit angegriffen haben. Ich habe aus Verantwortung gegenüber der Partei und unserer Wählerinnen und Wähler auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag verzichtet, weil ich befürchtet habe, die an mich gestellten Erwartungen, die mit so einem Mandat verbunden sind, aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllen zu können.
Ich habe zum Wohl der Partei einiges heruntergeschluckt und die Erfahrung gemacht, dass man als Parteimitglied für einige Genossinnen und Genossen nur so lange wichtig ist, solange man zum Organisieren von Mehrheiten gebraucht wird. Ich wurde in Schubladen gesteckt, man erkundigte sich über mich, wie ich denn so sei, ohne mit mir direkt zu reden. Ich fühlte mich oft ausgegrenzt, einsam, nicht dazugehörig und zwischen Stühlen. Gleichzeitig habe ich wunderbare Genossinnen und Genossen kennengelernt, die ich, auch wenn es mal heftige Differenzen in der Sache gab, sehr schätzen gelernt habe.
Linke Politik muss sich für Menschen in schwierigen Lebenslagen stark machen, für Menschen, die krank oder nicht mehr so leistungsfähig sind, ein geringes Einkommen haben und von Sorgen geplagt werden, wie es weitergeht. Und DIE LINKE. muss sich der Aufklärung und Wissenschaft verpflichtet fühlen. Das sind nur zwei Aspekte von vielen, was ich unter linker Politik verstehe.
DIE LINKE. wäre seit Monaten gebraucht worden, die alte und die neue Regierung zum Handeln in der Corona-Pandemie zu drängen. Wir haben einen Notfall. Seit Beginn der Pandemie gibt es fortlaufend Einschätzungen und Empfehlungen unterschiedlicher wissenschaftlicher Institutionen, was zu tun ist. Doch DIE LINKE. hat sich nach meinem Eindruck weggeduckt und gleichzeitig das Feld Sahra Wagenknecht überlassen, die es sich hindreht, wie sie es gerade braucht, um Zweifel an der Wissenschaft und am Impfen zu säen.
Vom Corona-Virus besonders gefährdete und vulnerable Menschen leben nicht nur – wie häufig erklärt wird – in Heimen. Ein Großteil der Seniorinnen und Senioren lebt mitten unter uns, mitten in der Gesellschaft. Und eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, Diabetes oder eine Immunschwäche sieht man niemanden an. Eltern mit Vorerkrankungen haben die Sorge, ihr Kind könnte das Virus aus der Schule nach Hause bringen. Kinder haben die Sorge, sie könnten ihre vorerkrankten Eltern anstecken. Einkommensschwache und einkommensstarke Familien sind davon gleichermaßen betroffen. Doch Kinder einkommensschwacher Familien trifft eine mögliche schwere Erkrankung der Eltern oder der alleinerziehenden Mutter besonders hart. Diese reale Gefahr und die damit verbunden Sorgen müssen ernst genommen werden. Und darauf braucht es Antworten. Jedes Kind hat ein Recht auf sichere Bildung!
Gleichzeitig fühlen sich viele Beschäftigte in den Kliniken im hier und jetzt im Stich gelassen. Da hilft es auch nicht, auf Fehler in der Gesundheitspolitik zu verweisen, mehr Personal und eine bessere Bezahlung zu fordern. Die enorme Belastung und der tagtägliche Kampf um das Leben anderer Menschen, der oft nicht gewonnen wird, bleibt.
Selbst wenn die Zahl der betreibbaren Intensivbetten gesteigert werden kann, darf nicht vergessen werden, dass etwa die Hälfte der SARS-CoV-2-Intensivpatienten nicht überleben. Hinzu kommen die Folgen von Corona-Infektion, die zu Long-Covid, MECFS und bis zur vollständigen Arbeits- oder Berufsunfähigkeit führen können. Deshalb ist jede Infektion eine zu viel. Und deshalb ist Impfen so wichtig, um das Risiko schwerer Krankheitsverläufe zu senken und die Infektionsdynamik zu bremsen. Die Politik darf sich durch Nichthandeln nicht aus der Verantwortung stehlen. Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Ärzte nicht in die Situation kommen entscheiden zu müssen, wer die lebensrettende Behandlung erhält und wer nicht, was im Übrigen nicht nur Corona-Patienten, sondern auch Patientinnen und Patienten mit einer Herz- oder Krebserkrankung, einem Schlaganfall oder Unfallopfer betrifft.
Niemand würde ernsthaft sagen, solange wir noch Platz im Krankenhaus und auf der Intensivstation haben, sind Maßnahmen zur Senkung schwerer Unfälle im Verkehr oder am Arbeitsplatz nicht erforderlich. Ziel muss deshalb immer sein, die Gesundheit und das Leben zu schützen und Unfälle oder schwere Erkrankungen mit Todesfolge zu verhindern, ob am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft insgesamt sowie für eine bestmögliche medizinische Versorgung zu sorgen.
In einer Krise, wie wir sie derzeit haben, erwarte ich eine lösungsorientierte Politik, die erkrankten Menschen und Beschäftigten im Gesundheitswesen beisteht und kurzfristig Maßnahmen auf den Weg bringt, die die Situation verbessert oder zumindest eine weitere Verschlechterung verhindert. Der Hinweis auf Versäumnisse in der Vergangenheit hilft den Menschen in einer Notsituation nicht weiter. Bei einem Verkehrsunfall kümmert man sich auch zuerst um die Versorgung der Verletzten und nicht um die Frage, wer Schuld hat. Und wenn die alte und die neue Bundesregierung wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und entsprechenden Empfehlungen nicht folgt, dann ist es Aufgabe der Opposition, die Regierung zum Handeln zu drängen.
Leider kann ich nicht erkennen, dass DIE LINKE. in der Pandemie entsprechend agiert und sich stattdessen eher zurückhält. Ich finde es nicht ehrlich, wenn erst die Füße stillgehalten werden und später, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ein Aufschrei erfolgt und Versäumnisse kritisiert werden.
Ich bin in eine andere Partei eingetreten als die, wie ich sie rückblickend die letzten vier Jahre erlebt habe und derzeit erlebe. Das Wort „Solidarität“ ist verbreitet zu einer Floskel verkommen. Ich fühle mich in der Partei nicht mehr wohl. Ich werde mich daher von nun an wieder außerhalb einer Partei für das Gemeinwohl, für soziale Gerechtigkeit und für Frieden engagieren.
Geretsried, 2. Dezember 2021