Kritik an autonomen Fahren
Rede zu Protokoll vom 21. Mai 2021 zur Verabschiedung des „Gesetzes zum autonomen Fahren“:
Sehr geehrter Herr Präsident!
Verehrte Damen und Herren!
Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Die Fraktion DIE LINKE sieht den Gesetzentwurf zum sogenannten „autonomen Fahren“ sehr kritisch. Ich setze das „autonom“ in Anführungszeichen, weil die Technik weit davon entfernt ist, dass sie selbständig stets angemessen agiert und vor allem mit ihrer Umgebung und insbesondere Menschen interagiert. Solcher Etikettenschwindel ist gefährlich, weil es Menschen dazu verleitet zu glauben, dass die Technik mehr kann als sie vermag – auch wenn im umfänglichen Handbuch dann etwas anderes stehen mag. So starben vor ein paar Wochen in den USA abermals zwei Menschen und vor ein paar Tagen wieder ein Mann, weil diese sich darauf verließen, dass ihr sogenannter „Autopilot“ von Tesla funktionieren würde.
Dass die Fahrzeuge im Rahmen des ÖPNV vielleicht in ein paar Jahren von der Technischen Aufsicht fernüberwacht in eng umgrenzten sogenannten Betriebsbereichen fahren könnten, ist denkbar. Der Entwurf erlaubt aber ausdrücklich auch die Zulassung für Privatfahrzeuge.
Zum Stand der Technik: Die Fahrzeuge können ihre Umgebung bei weitem nicht zuverlässig erkennen und könnten z.B. ein Gebüsch für einen Stromkasten halten, in das es hineinfahren könnte anstatt Schlimmeres zu verursachen. Die Technik funktioniert nicht zu jeder Tageszeit und nicht bei jeder Witterung. Die Software ist trotz gegenteiliger Behauptung nicht intelligent, sondern nur eine Ansammlung von irgendwann Tausenden, aber niemals vollständigen möglichen Szenarien auf der Straße. Diese logisch miteinander zu kombinieren, gegeneinander zu gewichten und zu entscheiden, vermag das Fahrzeug nicht. Und es kann auch nicht darauf reagieren, wenn etwa ein Polizist Anweisungen gibt oder Blaulicht-Fahrzeuge durchkommen müssen.
Zwar muss nach dem Entwurf in § 1e Absatz 2 c) gewährleistet sein, dass das Fahrzeug bei – Zitat – „Gefährdung von Menschenleben keine weitere Gewichtung anhand persönlicher Merkmale vorsieht“. Mögliche Unfallszenarien habe ich in den Anhörung genannt und die Regelung ist insofern eine Beruhigungspille, weil sie zwar etwas vorschreibt, was nicht gemacht werden darf, aber es offenlässt, was stattdessen gemacht werden muss. Das ist aber genauso nötig wie die Offenlegung, Zertifizierung und vollständige Transparenz der Algorithmen und Daten. Das ist gerade für Unfallopfer extrem wichtig, so dass diese ihre Rechte durchsetzen können.
Selbst wenn die Technik gegenüber Cyber-Angriffen und Manipulationen bis hin zu Terroranschlägen geschützt wäre, was nicht der Fall ist und in der Anhörung kritisiert wurde, ja selbst dann wäre der Gesetzentwurf allein schon wegen der Regelung der Haftungsfragen abzulehnen.
Nun gleich dazu: Nach dem Entwurf gilt wie beim normalen Pkw die sog. Gefährdungshaftung durch den Fahrzeughalter. Beim sog. „autonomen Fahren“ gibt es aber jenseits des Halters zahlreiche weitere mögliche Quellen für Unfälle, die den Hersteller direkt betreffen, aber auch aus dem Betrieb des Fahrzeugs mit Hilfe weiterer Akteure resultieren. So könnte der Softwarekonzern z.B. in Gestalt fehlerhafter oder versagender Algorithmen, die in gewissem Turnus ein Update erfordern, verantwortlich sein oder der Anbieter digitaler Karten. Natürlich könnte die Technische Aufsicht ihre Aufsichtspflicht grob vernachlässigen, was ebenfalls außerhalb des Einflusses des Halters ist. Ferner sei erwähnt, dass der Mobilfunkbetreiber, dessen Netzabdeckung zu langsam oder gar nicht vorhanden war, eine Unfallquelle sein kann.
Von Sachverständigen in der Anhörung haben wir auch erfahren, dass in ihrer Gesamtheit die möglichen Fehlerquellen und Unfallursachen, die auf Seiten des Herstellers und der am Betrieb zwingend beteiligten Unternehmen liegen, gegenüber denen des Halters überwiegen. Daher fordern wir, im Grundsatz von der Halter- zur Herstellerhaftung überzugehen, wie es auch der Bundesverband der Verbraucherzentrale verlangt, und ferner im Rahmen der Gesamthaftung die weiteren Akteure in die Pflicht zu nehmen.
Wie die fachlich-technischen und die versicherungsrechtlichen Aspekte im Gesetzentwurf geregelt bzw. falsch oder gar nicht geregelt sind, zeigt, dass dieser mit heißer Nadel gestrickt ist und wir lehnen ihn daher ab.