Menschen vor Profite
Reden am Erinnerungsort Badehaus am 1. Mai 2024 auf Einladung des DGB Kreisverband Bad Tölz-Wolfratshausen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,
wir feiern heute den „Tag der Arbeit“. Und wir machen deutlich: Vieles, was wir heute schätzen, ist nicht selbstverständlich. Vieles wurde erreicht, weil sich Menschen zusammengeschlossen und sich gemeinsam dafür stark gemacht haben. Vieles wurde von den Gewerkschaften erkämpft! Und das Erreichte gilt es heute gemeinsam und entschlossen zu verteidigen!
Doch der 1. Mai ist mehr als ein Feiertag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der 1. Mai ist hier im Landkreis auch „Tag der Befreiung“ vom Hitler-Faschismus. Der Holocaust-Überlebende Charles Kaufmann erinnert sich:
„Das Datum ist der 1. Mai 1945. Jeder kennt die genaue historische Bedeutung dieses Tages für uns. Unser Schicksal wird heute besiegelt. Dies wird zusammen mit dem Internationalen Tag des Proletariats geschehen. (…) Es ist 15 Uhr und alle sind draußen, laufen um die Baracken herum und auf die Straße. (…) Plötzlich hören wir den Lärm von Autos. Alle rennen in die Richtung des Lärms. Auf der asphaltierten Straße taucht ein Panzer mit zwei Soldaten auf, die uns mit den Händen zuwinken. „Die Amerikaner sind da!“, hören wir Rufe in vielen Sprachen. Endlich ist der Moment gekommen, auf den wir so lange gewartet haben. (…) Wir rennen auf sie zu und springen auf die Fahrzeuge, die langsamer geworden sind, um uns nicht zu überfahren. (…) Wir umringen sie von allen Seiten. Diejenigen, die sie nicht erreichen können, gratulieren sich gegenseitig und küssen sich. Mützen fliegen durch die Luft. Es herrscht eine feierliche Stimmung. (…) Es ist schwierig, diesen Moment zu beschreiben. Ich kann dieses Erlebnis nicht in Worte fassen. Wie reich an Substanz, farbenfroh im Aussehen und aufregend in seinem Geschehen!“
So beschreibt Charles Kaufmann, die Ankunft der ersten amerikanischen Soldaten im Lager Buchberg, das sich auf der Böhmwiese gegenüber dem heutigen Geretsrieder Rathaus befand.
Charles Kaufmann war einer von etwa 1000 jüdischen KZ-Häftlingen, die am 1. Mai 1945 in Buchberg befreit wurden.
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Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 folgte eine Welle des Terrors und der Gewalt, die schließlich im Zweiten Weltkrieg und der Zerstörung weiter Teile Europas mündete.
Nur zwei Monate später, am 22. März 1933, wurde in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager zur massenhaften Inhaftierung der politischen Opposition eröffnet. Es war Teil eines später von den Nationalsozialisten ausgebauten riesigen Lagersystems. In ihm waren während seines Bestehens etwa 18 Millionen Menschen inhaftiert. Etwa 11 Millionen Menschen fielen den Haft- und Lebensbedingungen in den Lagern zum Opfer oder wurden systematisch vernichtet, darunter allein zwischen 5 und 6 Millionen Juden.
Als die Niederlage Deutschlands näher rückte, wurden die Konzentrationslager, die sich in Frontnähe befanden, geräumt. Die Häftlinge wurden in andere Konzentrationslager im Landesinneren verlegt. Kein Häftling sollte lebendig in die Hände der Alliierten fallen. Für die von Zwangsarbeit, Misshandlungen, Krankheit, Kälte und Hunger gezeichneten Menschen, wurden die wochenlangen Fußmärsche zu Todesmärschen. Unzählige brachen zusammen. Wer nicht weiter konnte oder zu flüchten versuchte, wurde von der SS erschossen.
Die letzten Monate, Wochen und Tage vor Kriegsende wurden für die Häftlinge zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Tausende verloren ihn und erlebten die Ankunft der Befreier nicht mehr.
Im April 1945 wurden die Außenlager und Außenkommandos des KZ Dachau aufgelöst. Mindestens 25.000 Dachauer Häftlinge wurden von der SS auf Gewaltmärsche geschick oder eingepfercht in Güterwaggons per Bahn in Richtung Tirol abtransportiert.
Die Häftlinge, die am 1. Mai 1945 im Lager Buchberg befreit wurden, marschierten – angetrieben von der SS – am 23. April los und stammten aus dem Dachauer Außenlager Kaufering XI.
Am 26. April 1945, drei Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, mussten dort die russischen, jüdischen und deutschen Häftlinge auf dem Appellplatz antreten. Die SS zählte 6887 Häftlinge, die sich auf den Weg in Richtung Alpen machen mussten. Darunter 1213 deutsche Häftlinge.
Einer von ihnen war Franz Metz.
Franz Metz wurde am 10. August 1878 in Schweinfurt geboren. 1907 wurde er Ortsbevollmächtigter des Deutschen Metallarbeiter-Verband in Frankfurt am Main, dann Bezirksbevollmächtigter. Von 1928 bis 1933 war er Mitglied im Zentralvorstand in Berlin.
Am 20. Mai 1928 wurde Franz Metz für die SPD in den Deutschen Reichstag gewählt, wo er 1933 in namentlicher Abstimmung den Nationalsozialisten die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz verweigerte.
Am 2. Mai 1933 besetzten die Nazis die Gewerkschaftshäuser und zerschlugen die Gewerkschaften. Franz Metz wurde gezwungen, die neuen Machthaber in der Verbandszentrale des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes einzuarbeiten. Weil er sich weigerte, Kündigungsschreiben an seine alten Kollegen abzufassen, wurde er fristlos entlassen. Metz zog nach Frankfurt und eröffnete dort ein Café, welches sich zu einem Treffpunkt oppositioneller Genossen und Kollegen entwickelte.
Im August 1944 befahl der Reichsführer SS Heinrich Himmler alle früheren Reichs-, Landtags- und Stadtverordneten von KPD und SPD sowie alle ehemaligen Gewerkschafts- und Parteifunktionäre festzunehmen, gleichgültig ob sich diese im Augenblick politisch betätigen oder nicht.
Franz Metz wurde daraufhin am 22. August 1944 in Bad Nauheim verhaftet und fünf Tage später ins KZ Dachau eingeliefert.
Für die Häftlinge, die im Raum Wolfratshausen befreit wurden, begann am 1. Mai 1945 ein neues Leben, ein Leben in Freiheit. Doch die KZ-Haft hinterließ Spuren. Franz Metz erholte sich nicht von der KZ-Haft und dem Gewaltmarsch in Richtung Alpen. Er war schwer krank und starb 6 Wochen nach der Befreiung mit 67 Jahren am 13. Juni 1945 im Krankenhaus Geretsried, so der wörtliche Eintrag im Sterbebuch der Gemeinde Gelting.
Franz Metz sagte am 29. April 1929 in einer Rede im Reichstag:
„Wir haben nicht nur einen bürgerlichen Staat, der das Eigentum schützt, sondern wir brauchen auch einen sozialen Staat, der den wirtschaftlich Schwachen seine Hilfe zuteilwerden lässt, denn über dem Profit der Wirtschaft steht der Mensch und seine Gesundheit.“
Worte die bis heute ihre Gültigkeit haben.