Befreiung in Buchberg
Rede am Todesmarsch-Mahnmal in Geretsried-Buchberg am 5. April 2024 auf Einladung der Initiative „Gemeinsam für Demokratie und Vielfalt“:
Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
wir stehen hier an einem Mahnmal, das von dem Bildhauer Professor Hubertus von Pilgrim geschaffen wurde.
„Hier führte in den letzten Kriegstagen im April 1945 der Leidensweg der Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau vorbei ins Ungewisse.“
So lautet die Inschrift auf diesem Mahnmal. 22 solcher Wegstreckendenkmäler gibt es. Das erste Mahnmal wurde 1989 auf Initiative des damaligen Bürgermeisters der Gemeinde Gauting, Dr. Ekkehard Knobloch, errichtet. Weitere Städte und Gemeinden folgten. Das Mahnmal hier in Buchberg wurde am 22. November 1992 in einem feierlichen Akt der Stadt Geretsried der Öffentlichkeit übergeben.
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 folgte eine Welle des Terrors und der Gewalt, die schließlich im Zweiten Weltkrieg und der Zerstörung weiter Teile Europas mündete.
Nur zwei Monate später, am 22. März 1933, wurde in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager zur massenhaften Inhaftierung der politischen Opposition eröffnet. Es war Teil eines später von den Nationalsozialisten ausgebauten riesigen Lagersystems. In ihm waren während seines Bestehens etwa 18 Millionen Menschen inhaftiert. Etwa 11 Millionen Menschen fielen den Haft- und Lebensbedingungen in den Lagern zum Opfer oder wurden systematisch vernichtet, darunter allein zwischen 5 und 6 Millionen Juden.
Als die Niederlage Deutschlands näher rückte, wurden die Konzentrationslager, die sich in Frontnähe befanden, geräumt. Die Häftlinge wurden in andere Konzentrationslager im Landesinneren verlegt. Kein Häftling sollte lebendig in die Hände der Alliierten fallen. Für die von Zwangsarbeit, Misshandlungen, Krankheit, Kälte und Hunger gezeichneten Menschen, wurden die wochenlangen Fußmärsche zu Todesmärschen. Unzählige brachen zusammen. Wer nicht weiter konnte oder zu flüchten versuchte, wurde von der SS erschossen. Die letzten Monate, Wochen und Tage vor Kriegsende wurden für die Häftlinge zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Tausende verloren ihn und erlebten die Ankunft der Befreier nicht mehr.
Im April 1945 wurden die Außenlager und Außenkommandos des KZ Dachau aufgelöst. Mindestens 25.000 Dachauer Häftlinge wurden von der SS auf Gewaltmärsche geschickt oder eingepfercht in Güterwaggons per Bahn in Richtung Tirol abtransportiert.
Am 26. April 1945, drei Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, mussten dort 6887 Häftlinge zum Marsch antreten. Darunter 4150 russische Häftlinge, 1524 jüdische Häftlinge, davon 341 Frauen, und 1213 deutsche Häftlinge.
Der Abmarsch erfolgte gegen 21 Uhr. Bewacht von schwer bewaffneter SS und Hundeführern führte ihr Weg über Pasing, Gauting, Starnberg, Wolfratshausen, Eurasburg, Herrnhausen, Königsdorf, Bad Tölz bis nach Waakirchen. Etwa zur selben Zeit marschierten etwa 2000 Häftlinge des Außenlagers Allach ab. Die Häftlinge des Dachauer Außenlagers München-Riem wurden ebenfalls am 26. April mit dem Ziel Tirol in Marsch gesetzt. Es handelte sich um rund 1500 Häftlinge russischer, französischer, italienischer, jugoslawischer und anderer Nationalität. Ihr Marsch führte über Grünwald, Egling, Ascholding und Bad Tölz bis an den Tegernsee, wo die letzten Häftlinge befreit wurden. Und ebenfalls am 26. April wurde das Außenlager München-Kamerawerk aufgelöst und geräumt. Der Weg der dort inhaftierten rund 500 Frauen führte nach Wolfratshausen, wo sie später befreit wurden.
Das Mahnmal, vor dem wir heute stehen, ist eng verbunden mit dem Dachauer Außenlager Kaufering XI bei Landsberg. Die Häftlinge dieses Lagers wurden am 23. April von der SS in Marsch gesetzt. Es handelte sich um 1000 bis 1500 jüdische Männer und Frauen. Ihr Weg führte zunächst ins Außenlager Allach bei München. Am 28. April erfolgte der Weitermarsch in Richtung Alpen. Der ehemalige Häftling Levi Shalit erinnert sich über die Ankunft im Isar-Loisachtal:
„Die Straße führte Zickzack einen hohen Hügel hinunter. In dem Tal darunter lag eine kleine Stadt. Auf den Straßenschildern stand der Name Wolfratshausen. (…) Wir umgingen die Stadt, umgingen die Hauptstraßen. Wir kamen zu abgelegenen Häusern.“
Der Weg der Häftlingskolonne führt am 29. April durch Weidach und über die heutige Schießstättstraße in Wolfratshausen. Dort in der Nähe wurde die Häftlingskolonne von einem General der Deutschen Wehrmacht angehalten. Er gab der SS den Befehl, die Häftlinge ins nahegelegene Lager Buchberg zu bringen. Der Marsch der Häftlinge führte am Lager Föhrenwald, dem heutigen Waldram, vorbei. Und vorbei an diesem Ort, wo wir heute stehen.
Am Abend des 29. April 1945 kamen die Häftlinge im Lager Buchberg an. Das Lager befand sich auf der Böhmwiese gegenüber des heutigen Geretsrieder Rathaus. Dort waren am Ende des Krieges russische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene untergebracht, die in einer Sprengstoff- und Munitionsfabriken der Dynamit Actiengesellschaft arbeiten mussten, die sich auf dem Geretsrieder Ortsteil Gartenberg befand.
Im Lager Buchberg wurden die Häftlinge in eine große Baracke getrieben, die früher als Kantine diente. Am nächsten Morgen war die SS-Wachmannschaft bis auf den Lagerführer des KZ Kaufering XI abgezogen.
Die Häftlinge glaubten frei zu sein. Doch dann erschien am Vormittag eine SS-Einheit, angeführt von Hauptscharführer Otto Moll, dem ehemaligen Leiter der Krematorien in Auschwitz. Er forderte die Herausgabe und den Weitermarsch der jüdischen Häftlinge. Der für die Häftlinge verantwortliche Lagerführer verweigerte deren Übergabe. Daraufhin verschleppten Otto Moll und seine Männer zwischen 120 und 150 russische Zwangsarbeiter. Ehemalige Häftlinge berichten, dass sie später erschossen worden sein sollen. Wo die aus dem Lager Buchberg verschleppten Menschen verblieben sind, ist bis heute unklar.
Am 1. Mai 1945 erreichten die ersten amerikanischen Soldaten das Lager Buchberg. Der ehemalige Häftling Kopel Kaufman schreibt in seinen Erinnerungen:
„Das Datum ist der 1. Mai 1945. Jeder kennt die genaue historische Bedeutung dieses Tages für uns. Unser Schicksal wird heute besiegelt. Dies wird zusammen mit dem Internationalen Tag des Proletariats geschehen. (…) Es ist 15 Uhr und alle sind draußen, laufen um die Baracken herum und auf die Straße. (…) Wir warten auf die wichtigen Gäste, damit wir den doppelten Feiertag an diesem Tag feiern können. Plötzlich hören wir den Lärm von Autos. Alle rennen in die Richtung des Lärms. Auf der asphaltierten Straße taucht ein Panzer mit zwei Soldaten auf, die uns mit den Händen zuwinken. „Die Amerikaner sind da!“, hören wir Rufe in vielen Sprachen. Endlich ist der Moment gekommen, auf den wir so lange gewartet haben. (…) Wir rennen auf sie zu und springen auf die Fahrzeuge, die langsamer geworden sind, um uns nicht zu überfahren. (…) Wir umringen sie von allen Seiten. Diejenigen, die sie nicht erreichen können, gratulieren sich gegenseitig und küssen sich. Mützen fliegen durch die Luft. Es herrscht eine feierliche Stimmung. (…) Es ist schwierig, diesen Moment zu beschreiben. Ich kann dieses Erlebnis nicht in Worte fassen. Wie reich an Substanz, farbenfroh im Aussehen und aufregend in seinem Geschehen!“
Für mehrere hundert jüdische Häftlinge begann in Buchberg ein neues Leben in Freiheit. So auch für die damals erst 15jährige Rosa Friedmann, die im Mai 1944 mit ihren Eltern und Geschwistern aus Ungarn nach Auschwitz deportiert wurde. Dort wurde sie von ihren Eltern und Brüdern getrennt und kam anschließend zur Zwangsarbeit nach Kaufering in Bayern. Die Befreiung in Buchberg erlebte sie mit ihren beiden Schwestern Ella und Eva.
Bis zu 1130 Überlebende des Holocaust aus zwölf Ländern lebten bis Juli 1945 im Lager Buchberg. Im Juli 1945 wurde das Lager geschlossen und die Lagerbewohner nach Föhrenwald verlegt.
Heute erinnert dieses Mahnmal an den Marsch der Häftlinge nach Buchberg und der Ungewissheit, der die Häftlinge ausgeliefert waren.
Es erinnert an die Häftlinge, die während des Marsches oder an dessen Folgen ihr Leben verloren.
Es erinnert an die Häftlinge, die in Buchberg befreit wurden.
Es erinnert daran, wohin Nationalismus, Militarismus und ein gewähren lassen von Antidemokraten führen können.
Und es mahnt die Lebenden und nachfolgenden Generationen, wachsam zu sein, damit sich ähnliches niemals wiederholt.
Demokratie lebt von Beteiligung. Deshalb ist es richtig und wichtig, für die Demokratie auf die Straße zu gehen. Wenn wir die Demokratie schützen wollen, müssen wir sie stärken. Dafür braucht es Menschen, die bereit sind, sich vor Ort in ihrer Gemeinde oder Stadt mit ihren Ideen zu Wort melden und einbringen.
Und der Kampf gegen Menschenfeindlichkeit und rechtsextremes Gedankengut erfordert eine Politik, die gegenüber Scharfmachern keine Zugeständnisse macht. Was wir stattdessen brauchen, ist eine Politik, die Sorgen ernst nimmt, zuhört, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, niemanden zurücklässt und den demokratischen Sozialstaat stärkt, um so den Nährboden für rechtsextremes Gedankengut auszutrocknen!
Ich finde: Dafür lohnt es sich aktiv zu werden! Jede und jeder nach seinen Möglichkeiten. Vergessen wir nicht: Vieles, was wir heute schätzen, ist nicht selbstverständlich. Nichts „fiel vom Himmel“. Das meiste wurde erreicht, weil sich Menschen dafür stark gemacht haben. Vieles wurde erkämpft. Verteidigen wir gemeinsam das Erreichte und gestalten wir gemeinsam das Morgen!
Nie wieder Faschismus! Für eine Welt des Friedens und der Freiheit!